Tomasz Stanko Quartet | 31.10.2004

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Den verhangen melancholischen Ton seiner Trompete erkennt man sofort, die Mischung aus Poesie, Schmerz und Gelassenheit, die so zwingend unter die Haut geht, unmittelbar dahin, wo das Zentrum der Existenz lokalisiert ist. Tomasz Stanko, derzeit wohl der Jazztrompeter Europas, gastierte mit seinem Quartett im Neuburger Birdland. Er gab dem diesjährigen October-Special einen grandiosen Abschluss mit Lyrik und Attacke, empfindsamer Verletzlichkeit und strahlenden Highnotes, Understatement, Energie und vor Allem mit einer unmittelbaren Authentizität des Ausdrucks.

„Soul of Things“ heißt nicht von ungefähr eines seiner neueren Alben. Tomasz Stanko gibt sich nicht zufrieden. Nirgends steht sein phänomenales Können auch nur ansatzweise im Verdacht der Oberflächlichkeit. Der polnische Startrompeter spielt immer ums Ganze. Dabei ist er genau so weit entfernt von angestrengten Weltschmerzereien wie von bedeutungsschwangerer Effekthascherei. In seriös ausdifferenzierter Spielkultur schöpft er aus einem immensen Schatz an musikalischem Lebenswissen. Eigentlich kommt er ja aus der Tradition des freien Spiels der Kräfte, wie es in den 60ern mehr oder weniger fröhliche Urständ feierte. Zuweilen lässt er auch im Birdland seiner Liebe zu einschlägig expressivem Powerplay freien Lauf. Zunehmend jedoch hat sich Stanko den Strom der Tradition zur Quelle hin aufwärts gearbeitet und so seine Liebe zum Cool Jazz entdeckt. Das Repertoire seiner Ausdrucksfähigkeit umgreift schlechtweg Alles, was modernen Jazz ausmacht: Energie und Empfindsamkeit, Freiheit und Struktur, kultiviert kühle Distanz und brodelnde Atomkraft, kühne Architektur und die Hitze der Großstadtluft, dichte Spannungsbögen und explosive Entladung.

Die Krakauer Jungspunde, mit denen Stanko sich vor einigen Jahren in seiner Heimatstadt zusammen getan hat, sind mit den Jahren zu einer Band von eingeschworener Einheit verschmolzen, deren Innigkeit und Aufmerksamkeit sich jederzeit mit gleich welcher Formation von jenseits des Atlantiks messen kann. Michal Miskiewicz am Schlagzeug, Marcin Wasilewski am Piano und Slawomir Kurkiewicz am Bass agieren in einer derartig ausbalancierten Gleichzeitigkeit von individueller Klasse und kommunikativer Kohärenz, dass der Vergleich mit den großen Quintetten Miles Davis‘ oder – cum grano salis – mit dem legendären „klassischen“ Quartett John Coltranes nicht zu hoch gegriffen erscheint. Ein heftiger Abend, der der Erinnerung der Anwesenden ein weiteres unvergessliches Erlebnis hinzu gefügt haben dürfte.