Scott Hamilton & His German Friends Plays The Music From Neal Hefti | 10.09.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Zum Glück brennt wieder Licht im Keller. Das Fernsehprogramm am Freitagabend ist sowieso noch nie eine ernstzunehmende Alternative gewesen, und die Zeit seit dem letzten Konzert war wie immer viel zu lang. Die Leute steuern zielstrebig das Apothekergässchen an, Musiker packen ihre Instrumente aus, es wuselt, pulst und vibriert. Der Birdland-Jazzclub öffnet ab sofort wieder jedes Wochenende seine Pforten. Eigentlich ist es da fast schon egal, wer oder was da oben auf der Bühne Laut gibt – Hauptsache, bei einem der vitalsten, konstantesten und innovativsten Kultur-Biotope Neuburgs ist wieder Leben in der Bude!

Zwei Tage hintereinander geben sich der amerikanische Weltklasse-Tenorsaxofonist Scott Hamilton und seine „German Friends“ die Ehre, das Hofapothekengewölbe ist zwei Mal restlos ausverkauft und die Menschen pfeifen und klatschen jedes Mal vor Begeisterung. Natürlich sind dies auch Entzugserscheinungen, aber Birdland-Impresario Manfred Rehm ging bei der Wahl des „Openers“ auch auf Nummer Sicher und setzte auf die bewährte Karte „Swing as Swing can“. Denn an Scott Hamilton kommt in Sachen „Mainstream“ derzeit kein anderer lebender Saxofonist weltweit heran. Eng angelehnt an den großen, warmen Sound seiner Vorbilder Coleman Hawkins, Lester Young, Ben Webster, Illinois Jacquet, Zoot Sims, Stan Getz und Gene Ammons, formt er aus den Songs von Neal Hefti, einem der wichtigsten Komponisten des Great American Songbook, pausenlos kleine, funkelnde Balladen-Edelsteine. Wie der 68-Jährige federleicht, mit dunkel-sonorem Ton und fein phrasierten Pinselstrichen durch Themen wie „Cute“, „Liʼl Darlinʼ“, „Girl Talk“ oder „Teddy The Toad“ schlendert, mit welch verblüffendem Spannungsaufbau er Songs wie „The Odd Couple“ oder „Legs“ entwickelt, das allein wäre schon das Eintrittsgeld wert gewesen. Hamilton zelebriert Hefti auf eine derart würdevolle Art und Weise, dass er den 2008 verstorbenen Notensetzer wieder für einige Momente tatsächlich wieder auferstehen lässt. Er formt dessen Ebenbild wie eine Skulptur aus Noten – Scott Hamilton, der Bildhauer des Jazz.

Am eindrucksvollsten gelingt ihm dies in rasanten Uptempo-Nummern, die sich innerhalb des Sextetts zu einem wahren Funkenflug entwickeln, etwa wenn Vibrafonist Tizian Jost (der eigentlich als Pianist einen klingenden Namen besitzt) im Unisono mit Bernhard Pichl am Bösendorfer-Flügel durch die Rhythm Changes flitzt, wenn Bassist Rudi Engel und der wunderbar mannschaftsdienliche Schlagzeuger Michael Keul zum wiederholten Mal eine dezente, aber unwiderstehliche Swing-Welle auslösen oder wenn sich Scott Hamilton und Stephan Holstein – Letzterer am Tenorsax – zu einem machtvollen Katapult für die Band vereinen. Holstein greift viel zu selten zu seinem Stamminstrument Klarinette und verschränkt sich mit dem Vibrafon von Jost, um einen Hauch von Benny Goodmans „Air Mail Special“ durch das Gewölbe wehen zu lassen. Wie überhaupt der 59-jährige Wahl-Münchner vor allem am zweiten Tag überraschenderweise einen veritablen Kontrapunkt zum großen Scott Hamilton setzen kann – nicht als aggressives Battle, sondern vielmehr als stimmige und wohltuende Ergänzung.

Ein kaum zu leugnendes Manko des Programms liegt freilich in der relativ gleichförmigen Struktur der Stücke Neal Heftis, die bis auf wenige Ausnahmen nach demselben Strickmuster verlaufen: lässig aus Hüfte herausgeschossen, keine Speed-Nummern oder Dampfhämmer, sondern eher gedrosselte, kultivierte, im besten Wortsinn entspannte Swing-Kunst. Kein scharfes Messer, das durch die Butter geht, sondern eher ein feines Florett, das die Luft streichelt und bei jedem Fuß unweigerlich den berühmten Wipp-Reflex auslöst. Gerade deshalb ist es das Verdienst der dieser exzellenten Instrumentalisten, dass die Besucher mit einem Lächeln auf den Lippen den Hofapothekenkeller verlassen, zufrieden nach einem rundum gelungenen Auftaktakkord in einen heißen Neuburger Jazzherbst, bei dem es zumindest im Birdland nie kalt werden dürfte.