Oded Tzur Quartet | 28.02.2020

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es gibt wohl niemanden im Kellergewölbe des Birdland, der nicht das Besondere des Augenblicks spürt, als das Oded Tzur Quartet nach knapp zwei Stunden zum großen Finale ansetzt. Man erlebt dort ja immer wieder großartige Konzerte, aber Ereignisse, von denen eine derart spürbare Magie ausgeht, sind selbst an diesem Ort selten.

Der in Tel Aviv geborene und in New York lebende Tenorsaxofonist Oded Tzur, Schlagzeuger Jonathan Blake, Kontrabassist Petros Klampanis und Pianist Nitai Hershkovits sind etwas ganz Großem und völlig Neuem im Jazz auf der Spur. Das, was die vier Herren derzeit auf den Bühnen der Welt von sich geben, ist einzigartig. Es geht um die Stücke ihres Albums „Here Be Dra-gons“, ihrem ECM-Debut, mit denen Tzur und seine Band es schaffen, indische Ragas und Skalen mit dem Modern Jazz zu verschmelzen, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Mit filigranen Tönen, die wie ein Lufthauch, aus anderen Sphären herüberwehen, steigt das Saxofon in die Komposition ein, daraus entwickeln sich Klangwolken und ein Flow, der immer mehr anschwillt und sich nach und nach in solistischen Ausbrüchen entlädt. Folgt man Tzurs Li­nien, die er in diesen Momenten höchster Konzentration spielt, ist da zwar eine für europäische Ohren deutlich spürbare Fremdartigkeit vorhanden, aber eben auch eine starke innere Verbundenheit, die man auf wundersame Weise vom ers­ten Augenblick an zu ihnen aufbaut. Man wird als Zuhörer regelrecht fortgetragen von diesen Stücken, die vor aller Augen und Ohren zuerst als zarte Pflänzchen sprießen, sich dann öffnen, erblühen und sich schließlich in voller Pracht offenbaren.

Man kann sich bedenkenlos in diese Musik versenken, denn auch wenn Tzur Neuland betritt, nimmt er einen doch fürsorglich an die Hand und es stellt sich das prickelnde Gefühl ein, zwar auf dem sicherem Terrain des etablierten Modern Jazz zu stehen, gleichzeitig aber ein überaus spannendes Abenteuer in Terra Incognita zu erleben. Das Birdland scheint elektrisch aufgeladen zu sein an diesem Abend und die Energie, die von dieser Band ausgeht, ist quasi mit Händen greifbar, selbst dann, wenn die Mu­siker mit einer Leichtigkeit zu Werke ge­hen, die fast zur Schwerelosigkeit hin tendiert.

Zur allgemeinen Überraschung funktioniert das Konzept Tzurs auch bei Stü­cken wie „ Can’t Help Falling In Love“, das durch Elvis Presley bekannt wurde, der einem im Zusammenhang mit Jazz ja als allerletztes in den Sinn käme, und bei John Coltrane’s „Afro Blue“ in der Zuga­be, bei der der grandiose Jonathan Blake sich als trommelnde Naturgewalt ent­puppt.

„Tzur und seine Kollegen sind definitiv an etwas dran“, schrieb das US-Jazzmagazin Downbeat anlässlich der Veröf­fentlichung dieser Kompositionen. Dem Konzert im Birdland nach zu urteilen, sind sie tatsächlich fündig geworden. Es kann sogar sehr gut sein, dass alle, die an diesem denkwürdigen Abend anwesend waren, zu Ohrenzeugen wurden, als im großen Haus des Jazz sich eine neue Tür öffnete.