Nice Brazil & Group | 01.06.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Draußen sorgt der Dauerregen für Hochwassergefahr und man denkt an vollgelaufene Keller und überflutete Straßen. Drinnen präsentiert die in Sao Paolo geborene und in Deutschland lebende Sängerin Nice Brazil zusammen mit Ricardo Fiuza am Klavier, Joel Locher am Kontrabass und Dirik Schiltgen am Schlagzeug den Gegenentwurf mit Samba, Bossa Nova und Rumba, verbreitet damit brasilianisches Flair und tut ihr bestes, das meteorologische Tief durch ein musikalisches Hoch zu ersetzen.

Gleichzeitig beschließen sie und ihre Kollegen damit auch die Konzertsaison 2023/24 im Birdland, in der so viele Veranstaltungen ausverkauft oder doch zumindest sehr gut besucht waren wie selten zuvor. Auch die große Anzahl neuer und vor allem junger Jazzfans ist bemerkenswert. Hier wurde nach den durch Corona bedingten Einschränkungen eine deutliche Veränderung sichtbar. Stammpublikum und Leute, die nur mal eben „hineinschmecken“ wollen in die Welt des Jazz und dann hängen bleiben und wieder kommen – das sieht nach einer gesunden Entwicklung aus und lässt die Verantwortlichen zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Der Abend mit Nice Brazil spiegelt diese Tendenz fast exemplarisch wider. Trotz einiger – wohl des Wetters wegen – kurzfristig unbesetzt gebliebener Plätze spielt die Band vor ausverkauftem Haus und erntet heftigen Applaus. Und das trotz eines Repertoires, das auf Latin-Klassiker, Karnevalsschlager und die üblichen Gassenhauer Made in Brazil ausdrücklich verzichtet. Statt dessen bietet die Sängerin mit ihrer außergewöhnlichen Stimme, die ebenso für leise Passagen wie auch für temperamentvollen Scat steht, lieber Stücke aus den Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahren an, also auch aus der Zeit der Militärdiktatur (1964-1985), in der besonders viele Songs entstanden, die Lyrik und politische Aussagen miteinander verknüpften. Die garniert sie mit Material aus eigener Feder, stellt also eine Verbindung her von „Artigo de Luxo“ („Luxusartikel“) und „Pra Là e Pra Cà“ („Hin und Her“) zu „Minhas Raizes“ („Meine Wurzeln“) und „Pra Que Discutir Com Madame“ von João Gilberto, in dem es um Versuche geht, die Sambamusik zu verbieten.

Wer dabei feurige Klänge erwartet und Momente, in denen gnadenlos die Post abgeht, kommt trotz des Etiketts „Latin“ eher nicht auf seine Kosten. Die Band setzt nicht darauf, mitzureißen, sondern schubst sein Publikum eher behutsam in Richtung Entspanntheit, Zwanglosigkeit und Gelassenheit. Man schließt die Augen, groovt mit und hat eine gute Zeit dabei. So kann Musik aus Brasilien also auch funktionieren, auch wenn man auf diese Art ein Publikum längst nicht so leicht „knacken“ kann als mit Reproduktionen großer Hits. Dass in der Zugabe dann doch noch Antonio Carlos Jobim’s „The Girl From Ipanema“ auftaucht, ist nach dem komplett anders konzipierten Vorlauf denn auch eher überraschend.

Wer nach dem Konzert vor die Türe tritt, stellt überrascht fest, dass der Regen tatsächlich eine Pause eingelegt hat. Die hat ab sofort auch das Birdland-Publikum, denn der Club geht in die Sommerpause. Die ersten Termine danach sind das ebenfalls vom Birdland betreute Konzert der SwingIN Big Band im Ingolstädter Audi Forum am 12. und die beiden Auftritte des US-Tenorsaxofonisten Scott Hamilton und seiner Band am 13. und 14. September im Birdland in Neuburg.