Lynne Arriale Trio | 06.04.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Grundsätzlich sind der Freitag und der Samstag die Konzerttage im Birdland Jazzclub in Neuburg. Es sei denn, die Pianistin Lynne Arriale aus Jacksonville, Florida, kündigt sich an. Nachdem das Samstagskonzert im Nu ausverkauft ist, gastiert sie auch noch ausnahmsweise am Sonntag. Fast überf­lüssig zu erwähnen, das es auch für den Zusatztermin schnell keine Tickets mehr gibt.

Woran liegt das? Zum einen daran, dass ihre Konzerte in Neuburg schon immer Garanten für kraftvollen und gleichzeitig eleganten Piano-Jazz waren, was sich na­türlich herumgesprochen hat, zum zwei­ten an einer ganzen Reihe exzellenter Platteneinspielungen, mit der sie auch in den Medien für Aufsehen sorgt, zum drit­ten daran, dass man für ihre Musik kein Jazz-Abitur benötigt und schließlich dar­an, dass jedes ihrer Stücke akribisch aus­gearbeitet ist, genau die Balance fin­det zwischen Wiedererkennungswert und ex­zellenter solistischer Arbeit, wobei sie – was sie abhebt von den Kompositionen vieler ihrer Kollegen – zwar über keinen Text verfügen, sehr wohl aber über eine Botschaft.

Im Grunde ist sie nicht nur eine Pianist­in – und Professorin für Jazz­piano an der University Of North Flori­da – sondern auch die Sonderform einer Singer/Song­writerin, bei der das Piano den Gesangs­part übernimmt. Die Stücke ihres neuen Albums „Being Human“ tra­gen Titel wie „Passion“, das Greta Thun­berg gewidmet ist, „Courage“ und „Heart“, die sich mit dem Thema Ukrai­ne beschäftigen, oder „Persistance“ über die afghanische Frau­enrechtlerin Faira Ghafari. Sobald man das weiß, stellt sich beim Zuhören fast zwangsläufig das Phänomen ein, dass man die jeweils zu­grunde liegende The­matik auch ohne Umweg über die Spra­che hört. „Soul“ ist soulig, „Joy“ ist vol­ler Lebensfreude, „Curiosity“ macht allein wegen seines Ablaufs neugierig.

Immer wieder holt sie Stücke aus frü­heren Alben aus der Versenkung, etwa „The Lights Are Always On“, aus der gleichnamigen und zugleich politischst­en CD, in dem die stillen Helden der Pandemie gewürdigt werden, ab und zu covert sie auch, etwa liebevoll „Let It Be“ von den Beatles oder zornig „Some­times I Feel Like A Motherless Child“, das noch aus der Sklavenzeit stammt, aber nichts an Brisanz verloren hat. Nicht die einzi­gen, aber vielleicht die eindringlichsten Momente des Abends sind die, in denen Lynne Arriale es schafft, eine besonders intensive Verbin­dung herzustellen zwi­schen sich und ihrem Publikum, das für die technische Brillanz und die Passge­nauigkeit der Soli Szenenapplaus spen­det, aber auch gleichzeitig andächtig bei der Sache ist, weil es die Botschaft ver­standen hat, ja, vielleicht nur wegen ihr gekommen ist.

Lynne Arriale bietet nicht nur tolle Mu­sik an diesem – dem ersten – Abend im Birdland, sondern dem Personal, für das sie ihre Stücke geschrieben hat, auch ein Forum. Im Grunde hat sie durchaus et­was von einer Aktivistin an sich, einer, die sich zwar der in diesem Umfeld ver­gleichsweise eher unüblichen Aus­drucksform der Instrumentalmusik be­dient, dies aber musikalisch absolut sou­verän und inhaltlich jederzeit glaubwür­dig. Als sie sich anlässlich des Stücks „Sounds Of America“ schließlich auch noch für die „Zustände“ in ihrem Land entschuldigt, weiß man sofort, was und vor allem wen sie damit meint. Joe Bi­den ist es nicht.