Linda May Han Oh Quartet | 13.04.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Schon wieder eine Frau. Muss man darauf noch eigens hinweisen, oder gehört dies nicht schon längst zur Realität im Neuburger Birdland-Jazzclub? Tatsache ist, dass von neun Konzerten im April allein sechs Gruppen dabei sind, die von weiblichen Instrumentalisten oder Vokalisten geleitet werden. Für Clubchef Manfred Rehm stellt dies 2024 den Ist-Zustand in einem kulturellen Genre dar, das früher als reine Männerdomäne galt, bei dem aber, so der Impresario, „mittlerweile nur noch ein Kriterium den Ausschlag gibt: nämlich Qualität.“

Die Besten spielen eben in einem der besten Jazzclubs Europas, egal ob weiblich oder männlich – so einfach ist das! Und weil immer mehr gut ausgebildete Frauen mit interessanten Konzepten und herausragenden Fertigkeiten nach oben drängen, findet dies zunehmend im Birdland-Programm seinen Niederschlag. Das nächste Beispiel für weibliche Kreativität trägt den Namen Linda May Han Oh. Die in Malaysia als Tochter chinesischer Eltern geborene, in Australien aufgewachsene und heute in New York lebende Bassistin (Selbstbezeichnung: „Harlem-based Aussie“) gilt längst als eine der besten Tieftönerinnen der Welt, wurde vier Mal zur Bassistin des Jahres gekürt und begleitet Superstars wie Pat Metheny, Joe Lovano, Dave Douglas, Kenny Barron, Terri Lynn Carringtion oder Vijay Iyer.

Die Neugier auf eine der interessantesten Musikerinnen der Gegenwart hatte zum wiederholten Mal den Hofapothekenkeller bis auf den letzten Platz gefüllt. Und die, die gekommen waren, wussten, dass sie kein „Easy Listening“ erwarten würde. Denn für jedes Konzert gibt es dort längst ein eigenes, ein anderes Publikum, das sich genau aussucht, was es hören und sehen will. Und so kommt es auch zwangsläufig, dass Linda Oh und ihr Quartett um Sängerin Sara Serpa, Pianist Fabian Almazan und Drummer Mark Withfield jr. mit ihrer kompromisslosen, nicht ohne Ecken und Kanten auskommenden, zwar etwas kurzen, aber dennoch zauberhaften Performance das Gewölbe zu lautstarken Beifallsbekundungen bringen.

Die Bassistin schreibt Stücke, in denen sie Tonarten einen bestimmten Anstrich zuordnet: G klingt für sie nach Gelb, E nach Grün, C neutral, F irgendwie bläulich. Man musste das nicht unbedingt nachvollziehen können, um ihr Konzert als bunt zu empfinden. Vermutlich liegt es daran, dass die 39-Jährige mit klassischer Musik aufwuchs, dann zur Rockmusik konvertierte und in Teenagerjahren den Reizen des Jazz erlag. All dies fließt in ihre traumhafte Klangwelt ein. Oh vertont die Zerbrechlichkeit des Lebens und erforscht die Widersprüche, die in unseren gesellschaftlichen Werten verankert sind. Auf ihre ureigene, spannende Weise verbindet sie in Kompositionen wie „Respite Chimero Hatching“, „The Imperative Antiquity“ oder der zärtlichen Ballade „Optical Illusion“ (eine Hommage an alle Kinder der Erde) die kollektive klangliche Erkundung ihrer Notenwerke mit kühnem Improvisationsgeist.

Die vier Musikerinnen und Musiker agieren verhalten, zurückhaltend, so als würden sie sich ganz vorsichtig über eine dünne Eisfläche bewegen. Ihr bewusst anti-populistisch angelegtes Konzept, ein tiefes musikalisches Universum aus linearen und zyklischen Formen, erfordert offene Ohren, Herzen und Sinne, belohnt aber dafür reichlich. Selbst wenn sie mutig akustische Elemente mit Elektronik in einem primär auf unverstärkte Klänge geeichten Raum vermischen und der doppelstimmige, wortlose Sirenengesang von Sara Serpa und Linda Oh altbewährte Hör-Erwartungshaltungen über den Haufen schmeißt, bleibt es ein stimmiger, ganz besonderer Abend. Mit einer Bassistin im Auge des leisen Taifuns, die klug und mit untrüglichem Timing agiert, wendige Linien zu intonieren weiß, mit Flageoletts Farbtupfer wie unaufdringliche Ausrufezeichen zu setzen versteht und einen munteren Dialog zwischen tiefen und hohen Lagen moderieren kann. Linda May Han Ohs unbegleitetes Solo in „Jus ad bellum“ (Das Recht auf Krieg) ragt jedoch aus allem heraus. Nicht nur musikalisch.