Kirk Lightsey Quartet feat. Alex Hitchcock | 17.02.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Alter ist nur eine Zahl, die angibt, wie viele Atemzüge man gebraucht hat, um dorthin zu gelangen. Eine Binsenweisheit? Keiner, der am Samstag miterlebt hat, wie sich ein gerade mal 87 Jahre jung gewordener Pianist im abermals proppenvollen Birdland-Jazzclub zweieinhalb Stunden lang bewegt, wie er lustvoll in jedes Thema eintaucht, die Musik und auch sich selbst feiert und sichtbar jedes einzelne Glückshormon aufsaugt, wird dies ernsthaft behaupten wollen! Erst zwei Tage vor Neuburg durfte sich Kirk Lightsey zu seinem durchaus stattlichen Wiegenfest gratulieren lassen. Im Hofapothekenkeller geht die Sause weiter. Schlagzeuger (und Conférencier) Sangoma Everett erzählt, dass sie während ihrer Tournee bei jedem Konzert das Publikum um ein Geburtstagsständchen in der jeweiligen Landessprache gebeten hätten. Also diesmal die deutsche Version: „Zum Geburtstag viel Glück!“ Und die amerikanische Piano-Legende grinst wie ein Honigkuchenpferd und liefert am Klavier gleich die passenden Akkorde dazu.

Dass Lightsey, der Mann, der in seinem bewegten Leben bereits an der Seite von Jazz-Säulenheiligen wie Cannonball Adderley, Melba Liston, Yusef Lateef, Dexter Gordon, Chet Baker, Betty Carter, Pharoah Sanders, Sonny Stitt oder Kenny Burrell in die Tasten griff, nicht mehr ganz so gut zu Fuß ist und von den Kollegen auf dem Weg zur Bühne gestützt werden muss – geschenkt! Wenn Kirk am Bösendorfer sitzt, dann wirkt er absolut alterslos, öffnet seinen reichen Klangfarbenkasten und erweist sich in einem Quartett, bei dem jeder Mitmusiker locker sein Sohn oder gar Enkel sein könnten, als der mit Abstand Quirligste, Flotteste, Agilste. Deshalb gerät der Abend zu einem einzigen Bekenntnis für die Einzigartigkeit des Jazz und die Schönheit des Lebens mit einem Hauptdarsteller, der es als einer der letzten seiner Zunft meisterlich versteht, einen Flügel wirklich zum Klingen zu bringen.

Das Song-Material? Eher zweitrangig. Es kommt nicht darauf an, was man spielt, sondern wie es rüberkommt: Ein glänzendes „Joy Spring“ von Clifford Brown, das melancholische „In Your Own Sweet Way“ von Dave Brubeck, das ungewohnt gedrosselt-bluesige „Pee Wee“ von Tony Williams und ein etwas langweiliges „Take The A-Train“, das wie eine alte Dampflok dahinzuckelt, ab und zu ein paar Rauchwolken ausstößt und das Herz der Nostalgiker schneller schlagen lässt, als es der eigene Rhythmus hergibt. Von der Begleitcrew sticht vor allem Alex Hitchcock am Tenorsaxofon heraus, ein Rohdiamant aus Großbritannien, der mit seinen 33 Jahren am Anfang einer großen Karriere stehen dürfte. Eigentlich hat er alles drauf; seinen Lester Young, seinen Dexter Gordon, seinen Wayne Shorter. Was bis dato fehlt, ist ein eigener, unverwechselbarer Stil – wie der seines Chefs. Einen wie Steve Watts am Kontrabass würden alle Bebop- und Hardbop-Combos wegen seiner eleganten Walking-Linien mit Kusshand nehmen, während Drummer Sangoma Everett hin und wieder das Händchen für eine stimmige Dosierung zwischen laut und leise, zwischen hart und zart vermissen lässt.

Details wie diese spielen an einem Abend wie diesem freilich eher eine untergeordnete Rolle. Es ist vor allem der Showcase für Kirk Lightsey, der auch eigene Stücke wie „Bebop“ (nomen est omen) oder „Heaven Dance“, eine Nummer zwischen verschobenen Metren, Shuffle, Blues, Tonartwechseln und beseelt tanzbaren Rhythmen, beinhaltet. Die wahre Meisterschaft des Evergreens an den Elfenbeintasten offenbart sich jedoch in der wunderbaren Ballade „Goodbye Mr. Evans“, einer Ehrerbietung an den Piano-Kollegen Bill Evans, und dem kraftvollen „Blues On The Corner“ von McCoy Tyner. Zwei Songs, die einen durch die gesamte Emotionsskala geleiten, die der Jazz zu bieten hat.

Am Schluss gibt es begeisterte Ovationen und eine Zugabe, die sich aus der puren Freude am Momentum heraus entwickelt. Und Kirk Lightsey hat seine Heimat wieder um einen tollen Jazzkeller, ein grandioses Publikum und einen edlen Flügel erweitert. Ja, im Neuburger Birdland ist er richtig glücklich!