Emmet Cohen Trio | 04.05.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Das ist kein Stride! Oder vielleicht doch? Alles klingt genauso, wie bei einem der ganz großen Jazzpianisten, die schon häufig vor dem Bösendorfer Flügel im Birdland Platz nahmen: das lockere Händchen, der geschmeidige Anschlag, die maximale Bewegungsfreiheit und vor allem – die altbekannten Standards. Vieles von dem, was Emmet Cohen an diesem Abend unter dem teils frenetischen Jubel des Publikums im rappelvollen Hofapothekenkeller in die Klaviatur fließen lässt, wirkt auf seltsam angenehme Weise vertraut; die butterweichen Balladen, die Boogie-lastigen Uptempo-Renner, die beseelt swingenden Walzer. Aber dennoch gibt es einen enormen Unterschied zwischen diesem gerade mal 33 Jahre jungen, hochtalentierten Charmebolzen aus Miami und dem Rest der Zunft: Es ist die Art, wie er sich Klassiker passgenau auf den eigenen Leib schneidert, wie er aus Überliefertem etwas Neues, Modernes, Zeitgemäßes modelliert und wie er aus dem Piano-Stride, diesem lässig-lasziven Spielstil aus den lärmenden Nachtclubs im Harlem der 1920er-Jahre, der die gymnastischen Burlesken der risikofreudigen Stummfilm-Verrückten untermalte, eine neue Variante der „Roaring 2020s“ wachsen lässt.

In Cohens Musik ist die Vergangenheit mit ihren Protagonisten wie Fats Waller, Art Tatum, Earl „Fatha“ Hines und Willie „The Lion“ Smith allgegenwärtig. Aber seine verschmitzte, launige Art kommt diesmal nicht nur bei den betagteren Herrschaften ganz exzellent an. Selten zuvor nämlich gab es bei einem als „traditionell“ überschriebenen Konzert eine derartige Resonanz beim jüngeren Publikum! „Das macht wirklich Hoffnung“, freute sich nicht nur Birdland-Chef Manfred Rehm beim Blick auf die erstaunlich große Zahl von Mittzwanzigern, die genüsslich zu „ollen Kamellen“ wie „Dont Get Around Much Anymore“, „But Not For Me“ oder „Lil Darlin“ abgroovt.

Wie kann man den Zauber erklären, den ein Tastenmagier wie Emmet Cohen verbreitet? Am besten vielleicht mit seiner Herangehensweise. Er sowie seine kongenialen Mitstreiter, der Bassist Phillip Norris und Drummer Kyle Poole kippen Wagenladungen voller guter Laune ins Publikum, die sie noch dazu mit einer fulminanten Portion Können würzen. Das ist Entertainment und Virtuosität, perfekt ausbalanciert. Wie Cohen zum Beispiel dieses typische Schlendern übers Elfenbein zelebriert, fette, strahlende Blockakkorde auf die 88 Tasten donnert, die sich in leicht blueslastigen Läufen auflösen, das hat Klasse und Eleganz. Norris erweist sich als der perfekte „Walker“ am Kontrabass, hält stoisch diesen ansteckenden Swingpuls. Viele rhythmisch verschachtelte Akzente und hin und wieder ein paar „Bomben“ – so nennt man die Hallowach-Schläge auf die Snare – setzt dagegen Drummer Poole.

Am besten funktionieren die drei allerdings als kongeniale Einheit. Mal verschieben sie musikalisch ganze Berge, mal sorgen sie für offene Münder mit ihrem aberwitzigen Tempo. Aber alles exakt und punktgenau! Und immer wieder diese Phantom-Enden, nach denen jeder wie auf ein unsichtbares Kommando kurz stoppt, um dann langsam wieder den fallengelassenen Faden aufzunehmen. Emmet Cohen, Philipp Norris und Kyle Poole haben augenscheinlich großen Spaß an ihrer Arbeit, und diese überschäumende Freude überträgt sich eins zu eins auf das Publikum, das am Schluss Standing Ovations spendet – was es so schon lange nicht mehr gab – und am liebsten die laue Frühlingsnacht durchgemacht hätte. Bravo für einen denkwürdigen Abend, der dem Glauben an den „echten“ Jazz wieder neue Kraft verleiht!