Emmet Cohen Trio | 04.05.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Die Zuschauer feiern ihn bereits lautstarkt, als er den Saal betritt. Emmet Cohen, aus Miami, Florida stam­mend und mittlerweile im New Yorker Stadtteil Harlem zuhause, eilt der Ruf voraus, einer der virtuosesten Jazzpianis­ten der jüngeren Generation zu sein. Das hat sich herumgesprochen, weswegen die Tickets für sein Kon­zert im Birdland auch im Nu vergriffen sind.

Eigentlich war er bis vor kurzem noch damit beschäftigt, die vor ungefähr 100 Jahren entwickelte Spielform des Stride Pianos in den aktuellen Modern Jazz zu übersetzen, was in Fachkreisen ziemlich für Aufsehen sorgte, aber davon ist in Neuburg nur noch wenig zu hören. Sein „Lion Song“, dem einstigen Gründerva­ter Willie „The Lion“ Smith gewidmet, und ein Ausflug in die Zeiten des Rag­time sind die einzigen noch davon ver­bliebenen Spuren. Nein, Cohen ist längst schon wieder einen Schritt weiter, macht sich über Standards her auf eine unerhör­te und bislang ungehörte Art und Weise und bringt mit damit den Saal zum Ko­chen, das Publikum zum Schwärmen und seine Fans dazu, in der Pause dafür zu sorgen, dass LPs und CDs weggehen wie die warmen Semmeln.

Wie macht er das? – Indem er das Great American Songbook und das Real Book Of Jazz zu seinen Bibeln macht und wie ein Prediger seinen Schäfchen deren In­halt auf mitreißen­de, in jeder Phase un­gemein lustvolle, vor Energie nur so sprühende Art präsentiert. Das funktio­niert prächtig. Am Ende, nach weit über zwei Stunden, gibt es als zweite Zugabe eine zum Niederknien schöne Version von Neal Hefti’s „Lil‘ Darlin’“, völlig zu­recht Standing Ovations für ein sensatio­nelles Konzert und den sehnlichsten wenn­gleich unrealistischen Wunsch, es möge bis in die Morgenstunden einfach immer so weiter gehen.

Cohen ist als Instrumentalist virtuos, seine Kollegen, Philip Norris am Kontra­bass und Kyle Poole am Schlag­zeug, sind dies freilich auch. Wenn Co­hen an „Holy Land“, „Second Time Around“ und „Don’t Get Around Any­more“ und damit an Cedar Walton, Count Basie und Duke El­lington herumzerrt, sie mit fast kindli­cher Lust und Neugier zerlegt, neu auf­baut, mit Stolperfallen versieht, Un­wuchten einbaut, dann zie­hen die beiden mit schier unglaublichem Reaktionsver­mögen mit. Wer genau hin­schaut, der merkt schnell, dass Cohen ihnen seine Ideen meistens spontan vor die Nase setzt, ihnen die Bälle zuwirft. Die drei verstehen sich blind, natürlich, und Nor­ris und Poole kennen zumindest Cohen’s bevorzugte Wurftechniken, aber das Pu­blikum kennt sie nicht und ist einfach nur fasziniert.

Musik bedeute für ihn Freiheit, Leiden­schaft, Zuhören, Gemeinschaft, Offen­heit und Liebe, sagt Cohen. All das kommt an diesem Abend zum Tragen, ist Voraus­setzung für die Grundidee, eine Ver­bindung herzustellen zwischen den frü­hen Klängen des Jazz und aktuellen Aus­drucksformen, die weitaus mehr, un­gleich schillernder und wagemutiger ist als das Nachspielen bekannter Melodien zu bekannten Arrangements im Sinne doch recht eng verstandener Authentizit­ät. – Unter dem Titel „Live From Em­met’s Place“ wurden während der Pande­mie wöchentlich Livekonzerte aus seiner Wohnung ins Netz gestellt, die laut „The Guardian“ seither die „meistge­sehene re­gelmäßige Online-Jazz-Show der Welt“ ist. Und nun spielt deren Initia­tor im Birdland. Absolut großartig!