Benny Green Piano Solo | 04.11.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Das Hohelied auf das Birdland haben schon einige Künstlerinnen und Künstler gesungen – oder besser: gespielt. Das Meiste davon entstand spontan auf der Bühne, aus einer launigen Improvisation oder einem abgewandelten Standard heraus. Aber noch nie hat ein Musiker eigens ein Stück für den Neuburger Jazzclub komponiert, es zuvor penibel zuhause einstudiert und an Ort und Stelle und zur Überraschung aller Beteiligten zum Besten zu geben. Der „Birdland Blues“ wird auch auf dem neuen Album des phänomenalen Pianisten Benny Green zu hören sein; eine Liebeserklärung an den Platz, „an dem der Jazz am besten in Europa gedeihen kann“, wie der Amerikaner nach einem schier unglaublichen Solokonzert im Hofapothekenkeller – nicht zum ersten Mal – enthusiastisch bekannte.

Ein, zwei simple Töne, dann die berühmten zwölf Takte des Bluesschemas, alles ein wenig cool, wie es Birdland-Boss Manfred Rehm liebt, und dann, langsam, aber unaufhaltsam anschwellend – Feuer frei für eine ganze Salve an Singlenotes, gefühlten 1000 Noten in einer Minute, irren Läufen über die gesamte Klaviatur. Nur das Beste ist für den im April 60 gewordenen Virtuosen (nie war dieser Begriff treffender als bei ihm!) im Birdland gerade gut genug. Hier will er unbedingt sein brillantestes Pianohändchen zeigen, weil er weiß, dass sie ihn gerade in Neuburg verstehen und wertschätzen. Das liegt auch ein bisschen an der Vergangenheit, als der damals noch jugendliche Hoffnungsträger Anfang der 1990er Jahre immer wieder in der Altstadt gastierte, damals noch schüchtern, mit leichten autistischen Zügen, aber stets freundlich bis begeistert empfangen und beklatscht. Heute ist das anders. Vor dem gebannt lauschenden Auditorium sitzt ein gereifter, mit allen Wassern gewaschener Musiker, der die große Tradition seiner Elfenbein-Helden nahtlos fortsetzen kann und offen mit dem Menschen kommuniziert, entweder mithilfe von Worten, Blicken oder Tasten.

Und Green hat eine Menge zu erzählen. Von großen Piano-Ikonen wie Duke Pearson („You Know I Care“, „Chant“ und „Say You’re Mine), den gerade in Neuburg hoch verehrten Kenny Barron („New York Attitude“) und Tommy Flanagan („Minor Mishap“) oder seinen Vorbildern Oscar Peterson („Andante“), Hank Jones („Minor Contention“), Bobby Timmons (This Here“), vor allem aber von Horace Silver, den er mit seinen süffig-spritzigen Interpretationen von „Come On Home“ oder „Virgo“ wieder zum Leben erweckt. Er tut dies im mittlerweile unverwechselbaren Green-Style, einer Mischung aus Blues, Fats-Waller-Stride, verzögerter Time und akkurater Phrasierung, und hinterlässt dabei offene Münder. Denn er weiß um den Anstrengungsgrad eines Alleingangs am Flügel: Das bedeutet, pausenlos zu spielen, in eine Art Trance zu versinken, ganz bei sich und der Musik zu sein, höchste Konzentration, vor allem bei den unglaublichen Tempo-Kaskaden, die wegen ihrer Exaktheit fast sprachlos machen. Benny Green bewegt seine Hände gegenläufig, verlagert fließend die Melodieführung von der Rechten auf die Linke. Dabei gelingen ihm erstaunlich exakte Bögen, aberwitzige Konstruktionen, atemberaubende Modulationen, teils über anderthalb Oktaven gegriffene Akkorde. Analog zu Lucky Luke fällt einem das Bild von dem Mann ein, der schneller spielt, als sein eigener Schatten und jeder Begleitmusiker.

Vielleicht ist das aber auch der einzige Kritikpunkt am solierenden Benny Green. Wenn er sich ein klein wenig reduzieren und seinen schwerelosen Anschlag im inneren Ohr nachschwingen lassen würde, dann gäbe es auch die Chance, eine solch überwältigende, rauschhafte Performance besser verdauen zu können. So bleibt am Schluss eines atemberaubenden Abends nur das Gefühl, von einer Lawine aus Swing, Blues und Genialität überrollt worden zu sein. Aber dem Publikum gefällt es, es johlt, klatscht, pfeift, ist aus dem Häuschen. Schließlich erlebt man solch eine kreative Naturgewalt nicht alle Tage – selbst im Birdland, das nun auch über einen eigenen Blues verfügt.