Nina Plotzki International Quintett
„De Tout Mon Coeur“ | 18.05.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Wer sich mit Jazz-Standards beschäftigt, hat es mit Songs zu tun, die zum Allgemeingut des Genres gehören und als Ausgangspunkt für eigene Interpretationen dienen. Das heißt, was auf den Notenblättern steht, ist die Grundlage, die dann jeder Musiker oder jede Band nach eigener Sichtweise auslegen kann. Das International Quintet um die Sängerin Nina Plotzki ist ein Beispiel dafür, zu welch außergewöhnlichen Ergebnissen dieses im Jazz häufig verwendete Verfahren führen kann.

Kaum einer wird „On A Clear Day“, „Fly Me To The Moon“ oder „A House Is Not A Home“ exakt nach Vorlage spielen, aber was Plotzki und ihre Band daraus machen, dürfte ziemlich einzigartig sein. Ohne große Gesten, ohne Diven-Gehabe, dafür aber mit großer emotionaler Tiefe und Glaubwürdigkeit versenkt sich die Sängerin in die Vorlagen, spürt deren Essenz nach, fördert den Kern zutage. Die Balladen, bei denen sich bekanntlich die Spreu vom Weizen trennt, dürfen atmen, erzeugen ein ums andere Mal Gänsehaut, die flotten Nummern innerliches Wohlbehagen. Ihr warmer Alt steht im Mittelpunkt, das ist von Beginn an klar, aber Plotzki ist klug genug, den exzellenten Musikern, die sie da um sich versammelt hat, auch Auslauf zu gewähren.

Den nutzen sie weidlich. Stiege man als Zuhörer erst im Mittelteil ein, hätte man wohl keine Chance, den jeweiligen Song auch nur ansatzweise wiederzuerkennen, denn Tony Lakatos (Tenor- und Sopransaxofon), Vincent Bourgeyx (Klavier), Darry Hall (Kontrabass) und Greg Hutchinson (Schlagzeug) lieben es, sich auszutoben und tun dies auch weidlich. Selbst Plotzki ist mitunter überrascht, wohin die Reise geht. Dabei ist eine gehörige Portion Witz mit im Spiel, wenn vor allem Hutchinson, langjähriger Dummer für Betty Carter, seine Kollegen auf überraschend kurvige Pfade lockt, worauf die sich gerne einlassen. Lakatos mit seinem kraftvollen Schleifen, in die er rasende Läufe und extravagante Querschläger einbaut, Bourgeux mit seinem von Oscar Peterson, Monty Alexander und Chick Corea gleichermaßen geprägten Hintergrund und Allrounder Hall mit seinem warmen, markanten und prägnanten Ton.

Sie bearbeiten zusammen mit Plotzki, die Shouting, Stimmakrobatik und Scatting nur sehr behutsam einsetzt und sich lieber dem Chanson annähert als schweißtreibenden Krachern, die Klassiker auf eine Art, die den vorgegebenen Rohdiamanten von Burt Bacharach, Joao Gilberto, Bill Evans oder Nancy Wilson ihren ganz individuellen Feinschliff verleiht. Dass Plotzki selber darüber hinaus auch eine absolut ernst zu nehmende Komponistin ist, beweist sie zusätzlich mit „Little White Rabbit“ und „De Tout Mon Coeur“, dem Titelsong ihres aktuellen Albums, das auch für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert wurde. Wüsste man es nicht besser, würden auch diese Nummern problemlos als Bestandteil des Standard-Pools durchgehen.

„In diesem Club kann man keine halben Sachen machen“. Die Fotogalerie mit all den Säulenheiligen des Jazz an den Wän­den des Birdland-Gewölbes veranlasst Plotzki gleich zu Beginn des ersten Sets zu diesem Statement. Und halbe Sachen gibt’s auch nicht an diesem Abend, son­dern vielmehr ein Konzert der Spitzen­klasse mit einer Sängerin und einer Band in Top-Form und einem begeisterten Pu­blikum.