Tristano Unchained | 15.03.2024

Neuburger Rundschau | Thomas Eder
 

Der Vorverkauf verlief anfangs zögerlich. Im Programm war die Musik als modern angekündigt. Man stellte sich auf einen Abend mit Variablen und Unwägbarkeiten ein und dem mulmig mutigen Gefühl, als Konzertbesucher einfach mal etwas Ungewohntes auszuprobieren. Dass es dann ganz anders kam als erwartet, hatten die Besucher im Birdland Jazzclub neben dem Mastermind Julian Bossert am Altsaxophon dem Tenorsaxophonisten Stefan Karl Schmid, dem Pianisten Thomas Rückert, dem Kontrabassisten Calvin Lennig und dem Schlagzeuger Fabian Arends zu verdanken. Um es gleich vorwegzunehmen: Es war ein Abend der Superlative, ein rauschendes Fest der Töne, spannungsgeladen und hochemotional. Der Club war doch noch gut besucht und die Stimmung elektrisierend.

„Stella by Starlight“, „Out of Nowhere“, „Takin’ a Chance on Love“ oder „Bye bye Blackbird“ hießen die Stücke. Lauter Evergreens aus dem Great American Songbook. Nur, sie klangen in weiten Teilen nicht unbedingt so, wie man es gemeinhin im Jazz gewohnt ist. Die fünf Musiker haben sich der Inspiration des in der Mitte des letzten Jahrhunderts aktiven blinden amerikanischen Klavierlehrers Lenny Tristano verschrieben und über die Harmonien in freier Interpretation einfach andere Melodien gelegt. Julian Bossert und Thomas Rückert haben dem Publikum kurz umrissen, wie diese Musik abläuft und was sie auf der Bühne tun. Durch dieses Verständnis wurde das Konzert für die Besucher noch packender. Es gab keinen abgestimmten Ablauf in einem Lied. Die Musik funktionierte durch ein ständiges Hinübergleiten in andere Stimmungen, in neue Ideen, in spontane Deutung. Die Stücke auf diese Art zu spielen, nennt man Cool Jazz.

Lenny Tristano war ein Meister des freien musikalischen Verständnisses. Alle fünf Musiker von Tristano Unchained haben diese Art zu interpretieren verinnerlicht. Es war ein Genuss, einem jeden von ihnen zuzuhören, jeder konnte sich entfalten, keiner wollte dem anderen die Show stehlen oder sich in den Vordergrund drängen. Besonders angenehm war, dass nicht immer alle glaubten, gleichzeitig spielen zu müssen, sondern dass man ihnen die Freude ansah, wenn sie den Intuitionen ihrer Kollegen lauschten und dabei selbst zum Publikum wurden. Es gab keinen Beifall während des Vortrags. Das aufmerksame Publikum hat verstanden, dass es wichtiger und schöner war, einfach zuzuhören und zu genießen.

Eine Zugabe musste noch sein. Wohin sich die entwickelt und was sie letztendlich spielen würden, wussten Tristano Unchained selber nicht. Echt cool.