Stephan Holstein’s Swing Shift & Titilayo Adedokun | 08.03.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Wer den Fall „Webster“ wieder aufrollt, beschäftigt sich – ob­wohl dessen Protagonist bereits 1973 verstorben ist – nicht mit einem Cold Case. Nein, der Tenorsaxofonist Ben Webster ist einer der großen Helden des Jazz überhaupt, seine Persönlichkeit und sei­ne Musik hallen nach bis heute und es gibt nur ganz wenige Tenoristen, die nicht von ihm profitiert hätten.

Stephan Holstein und seine Band na­mens „Swing Shift“ verbeugen sich an diesem Konzertabend im Birdland vor ihm, obwohl sich weder Geburts- noch Todestag jähren, sondern einfach „weil ich ihn bewundere und seine Musik lie­be“, wie Holstein zugibt. Wichtig ist, wie Webster spielte, was er spielte und mit wem er spielte. Berühmt wurde er für seinen warmen Ton, für sein Genie hin­sichtlich der perfekten Melodiebildung und seine stets spürbare Nähe zum Blues. Das führte ihn, der auch Klavier und Klarinette spielte, mit Oscar Peters­on und Roy Eldridge zusammen, machte ihn zum Star im Orchester von Duke El­lington und schließlich zu einer Ikone des Swing.

Stephan Holstein, der zusammen mit dem Pianisten Heinz Frommeyer und der höllisch tighten und an diesem Abend richtiggehend über sich hinaus wachsen­den Rhythmusgruppe mit dem Kontra­bassisten Thomas Stabenow und dem Schlagzeuger Oliver Mewes zu hö­ren ist, ist auf Webster’s Spuren unter­wegs, spielt am Tenorsaxofon, an der B- und der Bassklarinette in seinem Sinne, spürt seinem Sound nach und seinem Stil, spielt Stücke, die auch Webster spielte und öffnet für manchen in Saal vermut­lich die im Grunde wegen Webs­ter’s Om­nipräsenz im Jazz nie verschlos­sene Tür zu einer längst vergangenen Welt, hinter der man sich trotz des zeitli­chen Ab­stands augenblicklich pudelwohl fühlt.

Maßgeblich dazu bei trägt Titilayo Ade­dokun, die aus Nashville, Tennessee stammt, in Deutschland lebt und eine ganz tolle Stimme hat. Webster arbeitete seinerzeit immer wieder mit Sängerinnen zusammen, und so ist Miss Adedokun der ideale Gast in Holsteins Band. Ihre große Stärke sind die Balladen, allen voran „In The Wee Small Hours Of The Morning“, Gershwin’s „Embreacable You“ und Ellington’s „Sphisticated Lady“, die sie absolut auf den Punkt bringt, ausdrucksstark, technisch perfekt und mit genau der richtigen Dosis an Bühnenpräsenz, die es braucht, um ab dem ersten Ton im Mittelpunkt zu stehen und trotzdem gleichberechtigter Teil ei­ner absolut souverän funktionierenden Band zu sein.

Ihre Versionen von „April In Paris“ und „Our Love Is Here To Stay“ werden zu weiteren Glanzpunkten des Abends und
die von Holstein im Andenken an „zwei gute Freunde“, nämlich an Helmut Nie­berle und Willi Johanns, intonierten Stü­cke „Sunday“ und „Bye Bye Blackbird“ zu sehr persönlichen Farewells. Natür­lich hätte das Konzert auch ohne die Ver­beugung vor Ben Webster funktioniert. Mit dieser sehr überzeugend agierenden und absolut kompetenten Band kann im Grunde nichts schief gehen, denn sie in­terpretiert die alten Klassiker auf eine doch ziemlich moderne Art, die nichts mit purer Nostalgie zu tun hat, dafür aber um so mehr mit zeitgemäßem Umgang mit zeitloser Musik. Respekt an alle Be­teiligten!