European Allstars | 20.01.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Bernd Reiter ist ein Strippenzieher. Er hat ein echtes Händchen dafür, immer wieder Bands zusammenzustellen, in denen sich befreundete und von ihm hoch geschätzte Musiker treffen, gemeinsam auf zeitlich überschaubare Tourneen und nachher wieder ihren eigenen Weg gehen.

Das hinzukriegen, ist nicht einfach. Man braucht ein weit verzweigtes Netzwerk, diverse Terminpläne müssen koordiniert werden, die geplanten Auftritte dürfen zeitlich und örtlich nicht allzu weit voneinander entfernt liegen und man muss sich auf ein gemeinsames zweistündiges Programm einigen. Immer wenn Birdland-Chef Manferd Rehm von einem neuen Projekt Reiters hört, schlägt er sofort zu, und so ist das Birdland in Neuburg immer eine feste Anlaufstation für Reiter und seine Kollegen. Wie bereits 2012, als sogar – mit anderer Besetzung – die CD „Live At Birdland Neuburg“ entstand, heißt die aktuelle Band „The European Allstars“, die laufende Tour umfasst neun Termine in Deutschland, Österreich und Belgien und die Beteiligten sind der aus Graz stammende Reiter selbst am Schlagzeug, Stéphane Belmondo aus Paris an Trompete und Flügelhorn, der in Kopenhagen lebende Ungar Gábor Bolla am Tenorsaxofon, Pianist Martin Sasse aus Köln und Kontrabassist Mini Schulz aus Stuttgart.

Der Abend beginnt mit Cedar Walton’s „Mother’s Prize“. Bolla legt los wie die Feuerwehr, Belmondo und Sasse sind ihm auf den Fersen und die Rhythmiker geben richtig Gas. Nein, ein besinnlicher Abend wird das eher nicht, das ist schnell klar und bewahrheitet sich denn auch, denn Tom Harrel’s „Sail Away“, die Rasanz von Freddie Hubbard’s „Birdlike“ und das Feuer in Steve Grossman’s „415 Central Park West“ noch vor der Pause bestätigen nur den ersten Eindruck. Eine absolut ungewöhnliche Songauswahl, die sich in der zweiten Hälfte des Konzerts mit Thelonious Monk fortsetzt, bestätigt dies. Was die Sache spannend macht, ist gar nicht mal so sehr die erwartbar gute Feinabstimmung zwischen allen Beteiligten, sondern auch die Tatsache, dass sie sich ruhig auch mal aneinander reiben dürfen. So kommt Belmondo’s Idee, das warme Saxofon Bolla’s in Dexter Gordon’s „Heardaches“ ausgerechnet mit dem Dämpfer zu kommentieren, doch ziemlich unerwartet. Aber letztendlich passend. Wagemut zahlt sich aus. Dass freilich Martin Sasse, der allein von Klangvolumen her den beiden Bläsern das Rampenlicht überlassen muss, ein sensationell guter Pianist ist, wird einmal mehr in seinen Soli deutlich. Der Mann ist schlicht eine Macht. Energie, Druck, Dynamik, Verve – das sind Schlagwörter, die zu weiten Strecken dieses Konzerts passen. Was nicht heißt, dass es keine Balladen gäbe. „Darn That Dream“ – das zufälligerweise auch auf der Setlist beim Konzert tags zuvor stand und heute ganz anders klingt als gestern noch – mit einem ausgiebigen und wunderschönen Saxofonfeature ist der Beweis dafür.

Und Bernd Reiter, der schon so oft im Birdland zu Gast war, immer wieder mit unterschiedlichen Musikern, der mit warmherzigem Charme und Witz durch den Abend führt? Vermutlich wird er nach der Tournee wieder sein Netzwerk durchforsten, in der ganzen Welt herumtelefonieren und nachfragen, wer seiner Kollegen Zeit und Lust hätte für ein gemeinsames Live-Projekt. Dass er, wenn es so weit ist, damit wieder in Neuburg Station machen wird, gilt als sicher.