Kerstin Schulz & 4 Of A Kind | 09.12.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Heimspiel! Kerstin Schulz im Birdland – das bedeutet: Die Protagonistin sitzt ausnahmsweise mal nicht im Zuschauerraum, sondern steht oben auf der Bühne, und der Hofapothekenkeller ist an diesem nasskalten, matschigen Adventssamstag wieder mal proppenvoll. Die singende Radiomoderatorin mit der bluesigen Altstimme ist „eine von uns“, der man gerne zujubelt und die im Dunstkreis zwischen Neuburg und Ingolstadt längst ihre eigene Fan-Base aufgebaut hat – Menschen, die übers Jahr hinweg kaum den Weg in den Jazzclub finden und die dort gängige Musik allenfalls mit spitzen Fingern anfassen würden. Hier aber funktioniert es plötzlich: Dank Kerstin Schulz, ihrer authentischen Leidenschaft und einer wendigen, pfiffig-griffigen Begleitband wird der Jazz auch in Neuburg zumindest für diese kurzweiligen zwei Stunden ein populäres Massenphänomen.

Sie singt von Kindesbeinen an, inbrünstig, emotional, voller Verve, häufig laut, dann wieder ganz leise. Und sie liebt die Musik. Kerstin Schulz lebt die Lyrics, die über ihre Lippen gehen, moduliert nicht nur auswendig gelernte Zeilen, sondern schlüpft mit Haut und Haaren in das Innere der Wortgebilde. Nach über vier Jahrzehnten ist sie so etwas wie Neuburgs Sangesstolz, und hat sich das auch hart erarbeitet und redlich verdient. Aber die erklärten Höhepunkte ihrer Karriere als Vokalistin – das betont sie immer wieder – stellen nach wie vor die Konzerte im Birdland-Jazzclub dar, ihrer Lieblingslocation, in der sie schon unzähligen Künstlern auf den Mund oder die Finger schauen durfte. Aus diesem Grund hat sie gemeinsam mit ihrem exzellenten Quartett um den wendigen, intonationssicheren Tenorsaxofonist Christof Zoelch, Schulzʼ langjährigen musikalischen Partner, den Pianisten Jens Lohse, den ebenso einfallsreichen wie verlässlichen Drummer Tom Diewock sowie den renommierten Bassisten Michael Harnoß ein abwechslungsreiches, keineswegs populäres Programm einstudiert, das alle zwar mitunter an ihre Grenzen bringt, dessen Klippen sie aber letztlich elegant, souverän und unter den Begeisterungsstürmen des Publikums umschiffen.

Wohlgemerkt: Im Gegensatz zum üblichen Birdland-Bühnenpersonal handelt es sich hier weitgehend um Amateure im allerbesten Wortsinn, die sich erstaunlicherweise kaum hinter arrivierten Profis verstecken müssen. Ein paar kleinere Mängel sollte man nicht auf die berühmte Goldwaage legen, wobei vor allem die Band auf einem überraschend hohen Niveau agiert. Hervorheben ist die mutige Themenauswahl, mit der Schulz sich an richtig vertrackte Balladen wie „All At Sea“ von Jamie Cullum, „Moondance“ von Van Morrison, den Edelstandard „Georgia On My Mind“ oder „Eleanor Rigby“ von den Beatles heranwagt. Am besten gelingen ihr freilich nach wie vor die süffigen Swingnummern wie Ella Fitzgeralds „They Canʼt Take That Away From Me“, bei denen ihre Stimme geschmeidig über den groovenden Untergrund von Diewock, Harnoß, Zoelch und Lohse surfen darf.

Und dann wäre da schließlich noch der Blues, Kerstin Schulzʼ zweites „Heimspiel“. Eine launige Komposition von Sven Faller, dem künstlerischen Leiter der Sommerakademie, über die Hinterlassenschaften eines One-Night-Stands namens „Donʼt Leave Your Coffee“, Roberta Flacks „Thatʼs The Time“, „Your Heart Is Black As The Night“ von Beth Hart sowie das grandiose „Muddy Water“ als Zugabe erzeugen reihum Gänsehautmomente, auch weil hier die Stimmlage der Vokalistin exakt den Charakter der Songs trifft. Die nachdenklich-hoffnungsvolle Country-Jazzballade „If We Make It Through December“ bringt ganz zum Schluss sogar noch etwas Weihnachtsstimmung ins Auditorium und beendet ein Konzert, das – gemessen am Beifall des Publikums – locker bis weit nach Mitternacht hätte gehen können. Es ist der verdiente Lohn für eine erstaunlich reife Performance. Die Quersumme eines Lebens mit und für die Musik.