Ted Rosenthal Trio | 10.11.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es mag Zufall sein, aber manchmal ergeben sich ganz sonderbare Konstellationen. Da gastiert mit Ted Rosenthal einer der großen New Yorker Pianisten des Mainstream Jazz im Neuburger Birdland Jazzclub und aus dem Konzert wird nicht nur der erwartete musikalische Leckerbissen, sondern auch ein ganz spezieller Abend der Erinnerungen.

Pianist Rosenthal, heute 65 Jahre alt, ausgebildet in den Bereichen Klassik und Jazz, komponierte fürs Tanztheater am Big Apple und schuf Werke für die New York City Opera, spielte mit Bob Brookmeyer, Art Farmer und Phil Woods, ist also beileibe kein Unbekannter. 1995 war er bereits einmal im Birdland zu Gast, als junger Pianist an der Seite des legendären Gerry Mulligan, dessen Foto vom Tag des Konzerts unweit der Bühne einen Ehrenplatz hat. Birdland-Chef Manfred Rehm erinnert sich noch gut an jenen denkwürdigen Abend, Rosenthal überraschenderweise auch und spielt in der ersten Zugabe auch gleich Mulligan zu Ehren eine hinreißende Version von dessen „Lonesome Boulevard“. Im Gedenken an seinen Vater und auf Grundlage von 200 Briefen, die seine Großmutter aus dem nationalsozialistischen Deutschland seinem emigrierten Vater schickte, entwickelte Rosenthal die Jazz-Oper „Dear Erich“. Vier Exzerpte daraus stellen einen höchst interessanten Gegenpol dar zum Restprogramm aus Interpretationen von Broadway-Stücken von George Gershwin, Richard Rodgers, und Hoagy Carmichael und – weil bei ihm der Aspekt der Klassik immer mitschwingt, auch in seiner Spielweise – aus Tschaikovsky’s kurzerhand auf Bebop gebürsteter fünfter Sinfonie.

Das Ergebnis dessen, was er zusammen mit dem exzellenten Kontrabassisten Martin Wind, der selbst derzeit als Ausnahmeerscheinung in aller Munde ist, und dem niederländischen Drummer Hans Braber dem Birdland-Publikum vorsetzt, ist Mainstream in Vollendung, Perfektion ohne eine Spur von Sterilität. Makellos, edel, fast schon vollkommen. Und dabei trotzdem leidenschaftlich, tiefgründig, lebendig, witzig. Bereits Rodgers‘ „People Will Say We’re In Love“ ganz zu Beginn ist mit abenteuerlichen Zitaten nur so gespickt. Fast in jeden Chorus wird irgendein Querverweis in die weite Welt des Jazz oder die der Klassik eingebaut, ein bekanntes Thema kurz angespielt und mit einem Augenzwinkern wieder verabschiedet. Desgleichen bei „I Loves You Porgy“ oder „Have You Met Miss Jones“. Wenn man Ted Rosenthal lauscht, wundert man sich unweigerlich, welch enorme Substanz doch in diesen hundertmal gehörten Kompositionen steckt. Es braucht nur jemanden, der sie offen legt und auf souveräne Art präsentiert. Mit Thelonious Monk’s „Well You Needn’t“ und einem hinreißenden Midtempo-Blues mit einem Martin Wind, der hier auf fast schon geniale Weise den Bogen schwingt, beschließt das Trio den Abend, der nach 120 Minuten und zwei Zugaben immer noch viel zu kurz war.

Zum Glück kann man das Konzert im Radio nachhören. In Ausschnitten im Rahmen der BR Live-Jazznacht aus dem Birdland am 23. November (22 Uhr bis 0 Uhr auf BR Klassik, 0:05 Uhr bis 2 Uhr auf BR 2) und am 22. März fast eine Stunde lang am Stück ab 22:05 Uhr auf BR Klassik.