Scott Hamilton Quintet | 08.09.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Schönen Sommer gehabt? Na ja, geht so. Mit ein bisschen Musik wären die Unwägbarkeiten des Klimawandels sicher besser zu ertragen gewesen. Jetzt, Anfang September, ist noch alles so, als wäre die alte Birdland-Saison gerade erst vor ein paar Tagen und nicht bereits vor einem Vierteljahr zu Ende gegangen. Bis spät in die Nacht hinein sitzen die Menschen in luftiger Kleidung in den Straßencafés, und drinnen im Keller unter der Hofapotheke ist wieder die vertraute Geräuschkulisse zu vernehmen. Auch den Hauptdarsteller kennt mittlerweile jeder: Scott Hamilton, der elegante amerikanische Grandseigneur am Tenorsaxofon, hat in den vergangenen Jahren die Rolle des Opening-Acts für die neue Spielzeit im Birdland-Jazzclub vom verstorbenen Trompeter Dusko Gojkovic übernommen. Und für das zwei Mal restlos ausverkaufte Doppelkonzert am ersten Wochenende bringt er Gleichgesinnte mit: den untadeligen und mit allen Wassern gewaschenen Posaunisten und Landsmann Jiggs Wigham sowie seine metrisch geeichte Rhythmusgruppe mit dem Pianisten Bernhard Pichl, dem Bassisten Rudi Engel und dem Schlagzeuger Michael Keul.

Kein Risiko also zum Auftakt, aber dafür verlässlich hohe Qualität. Hamilton, Wigham und Co. intonieren nicht nur im zweiten Teil des Konzertes die wunderbare Ballade „Pure Imagination“ aus dem Film „Charlie und die Schokoladenfabrik“; sie strukturieren unbewusst auch ihr gesamtes Konzert nach dem Rezept dieses Blockbusters. Akustische Schokolade, soweit das Ohr hören kann, Leckereien in allen Facetten, natürlich süß und zuckrig, sensationell schmeckend und schnell sättigend, gerne genommen mit der Tendenz zum Suchtfaktor. Der zarte Schmelz prägt Hamiltons Ton zu jeder Millisekunde; eine Reminiszenz an seine Vorbilder Coleman Hawkins, Lester Young, Ben Webster, Illinois Jacquet, Zoot Sims und Stan Getz.

Der 68-Jährige liebt Songs, das Liedhafte der Standards – fast wie eine Art pulsierende Vollmilchschokolade. Mit entspannter Nonchalance und relaxter Noblesse hat er daraus längst eine eigene Marke gebastelt, eine Art Fortschreibung des bewährten Hawkins-Webster-Young-Rezeptes. Und er steht auf Swing, mal im groovenden Krokant-Mantel wie in „Bagʼs Groove“, mal als butterweiches Nougat kredenzt wie in „Someday My Prince Will Come“, oder mit Mandelsplittern („Poinciana“). Manchmal gibt es spärliche Nuancen von Zartbitter, etwa in J. J. Johnsons „Lament“, aber nicht zu viel. Es soll ja schmecken und die Leute nicht auf den Gedanken bringen, dass andere Jazz-Delikatessen womöglich auch ganz gut munden könnten.

Selbst eine ungewohnt freche Pfeffer-Erdbeer-Mischung wie die klare Kante gegen das „Monster“ Donald Trump von Jiggs Wigham, das scheinbar alle amerikanische Künstler auf die Barrikaden treibt, funktioniert in Neuburg. Wigham, der sich in Deutschland vor allem als Bigband-Arrangeur und Leiter des Bundesjugendjazzorchesters einen Namen gemacht hat, improvisiert singend einen Blues namens „Bye, Bye Donnie“, in dem er sich wünscht, ein Alligator in Florida möge doch Appetit auf einen weißhaarigen Ex-Präsidenten bekommen, und alles dabei schnalzt mit der Zunge. Und so führen die beiden Herren im besten Alter einen herrlich entspannten Diskurs in der Abendsonne über Politik, das Klima, über Gott und die Welt, immer wieder perfekt ergänzt durch die passenden Stichworte des hinreißenden Dreiergespanns aus deutschen Landen. Es wird viel geflachst; über Wighams jüngstes Rückenleiden, weswegen er die Zugabe „Pennies From Heaven“ nur im Sitzen aus dem Zuschauerraum spielen kann, über Hamiltons malade Beine oder über andere schmerzhafte Männerprobleme. Aber die fünf treffen dabei immer den richtigen Nerv, finden eine gemeinsame Kommunikationsebene mit dem Publikum, das sich bestens unterhalten und bedient fühlt. Von Scott, Jiggs und ihrer musikalischen Schokoladenfabrik.scott