Wolfgang Lackerschmid & The Brazilian Trio | 03.06.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Eigentlich glaubt man ihn längst zu kennen, sein Vibrafonspiel, seine clevere Art der musikalischen Performance, die den größtmöglichen Bogen zwischen populistischen Bocksprüngen und höchster Virtuosität schlägt. Aber bei jedem Konzert versteht es Wolfgang Lackerschmid, einen doch immer wieder aufs Neue und Angenehmste zu überraschen. Im Neuburger Birdland breitet der eloquente Tausendsassa schon seit Beginn der neuen Jazz-Zeitrechnung 1991 an sein komplettes Register aus, von der krassesten Moderne bis zur lieblichsten Klassik, vom treibenden Bebop bis hin zum pulsierenden Funk. Aber selbst bei einer vertrauten Formation wie dem „Brazilian Trio“ zieht der schlaue Fuchs doch ein paar Asse aus dem Ärmel, die man dort weiß Gott nicht vermutet hätte.

Typisch Lackerschmid eben. Denn das mit Spannung erwartete Birdland-Abschlusskonzert vor der Sommerpause mit einer Hommage auf den inzwischen verstorbenen ungarischen Gitarristen Attila Zoller zu eröffnen, mit dem der Augsburger an gleicher Stelle eines der allerersten Hofapothekenkeller-Konzerte im Duo zelebrierte, das ist wirklich schlau und verschafft ihm nicht nur bei Impresario und Zoller-Freund Manfred Rehm Pluspunkte. Dennoch sollte man den 66-Jährigen keineswegs nur als berechnenden Musikus abtun, sondern spätestens nach dem fulminanten Auftritt mit „seinen“ Brasilianern vor einem restlos begeisterten Publikum im ausverkauften Gewölbe den Hut ziehen und sich tief verbeugen. Die Art nämlich, wie Wolfgang Lackerschmid mit seiner unglaublichen Vier-Schlegel-Technik jedes Thema ausformt, um-, über- und ausspielt, wie er komplizierteste Arrangements einfach und vor allem eingängig klingen lässt und mit witzig-launigen Ansagen die Fans unterhält und informiert, das ist ein Paradebeispiel für die Absurdität des Vorurteils, dass der Jazz elitär sein muss, um sich überhaupt abgrenzen zu können.

Natürlich bedienen Lackerschmid, der wunderbare Pianist Hélio Alves, der mit allen Galopparten vertraute und auf seinem hölzernen Korpus trommelnde Bassist Nilson Matta sowie die Schlagzeug-Legende Duduka da Fonseca dank ihrer fliegenden Harmonien und vibrierenden Rhythmen jedes Kopfkino zum Thema Sonne, Strand und Meer. Aber frech zurechtgebogene Songs wie die Adaption des „Bildnis“ aus Mozarts „Zauberflöte“ oder die Hommage auf die israelische Künstlerin „Ilana Goor“ sind mehr, als nur Bossa-Nova-Blaupausen. Faszinierend dabei ist das nahezu organische Zusammenspiel dieser ausgebufften, mit allen melodischen Wassern gewaschenen Truppe. Alves und Lackerschmid agieren wie zwei ineinandergreifende Jongleure, bei denen nur vier Hände und sechs wild durcheinanderfliegende Bälle zu sehen – oder besser: zu hören sind.

Zum akustischen Gaumenschmaus und nonchalanten Beweis, dass auch Avantgardistisches mitunter leicht und bekömmlich daherkommen kann, gerät das grandiose „Chicken Shock“, bei dem die vier Freunde plötzlich ein Huhn unter dem Bett eines Freundes hervorstürmen lassen. Im pfeilschnellen „Baier Baiao“, das streckenweise wie ein launiger Sprint-Wettkampf auf Instrumenten anmutet, beweist die Combo, das Schnelligkeit keineswegs vor Exaktheit und Virtuosität schützen muss, während sich „Ubatuba“, das einzige Stück aus der Feder von Hélio Alves, als lässig schlendernde Samba outet. „Never Stop Playing“ schließlich vollendet den bunten Reigen – wobei Nomen Gott sein Dank nicht Omen sein muss. Natürlich hören sie irgendwann wieder auf zu spielen, aber gerade dieser Take skizziert auf besonders eindrucksvolle Weise die unbändige Lust, die pure, durchaus professionelle Freude, sich gegenseitig zu genießen und gemeinsam in einem Meer aus Noten zu baden. Ein Finale par excellence voller Glücksgefühle, das einem wieder einmal plastisch vor Augen und Ohren führt, welch kulturelles Juwel dort in den Katakomben der Altstadt funkelt – jetzt allerdings erst einmal mit einem Vierteljahr verdienter Sommerpause.