Black Art Jazz Collective | 25.10.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Schwarze Kunst ist in allererster Linie Musik. Mit Ausnahme des „weißen“ Country umfasst sie die kompletten kulturellen Errungenschaften Amerikas, deren Wurzeln wiederum tief in Afrika liegen. Dabei geht es in erster Linie um Blues, Funk, Soul, R`n`B und vor allem um Jazz. Ein permanentes Setzen kreativer Ausrufezeichen, das gerade 2019 hochpolitisch und gerade 2019 aktueller und wichtiger denn je erscheint.

Über dem restlos ausverkauften, im Rahmen des 9. Birdland-Radio-Jazz-Festival stattfindenden Konzert einer Formation, die sich selbstbewusst Black Art Jazz Collective nennt, steht ganz groß das Wort „Protest“ – auch wenn dies so an diesem Abend niemand ausspricht. Schon der wuchtige Name der Band gibt das Signal: Fast alle Kompositionen sind Fixpunkten der afroamerikanischen Identität gewidmet: der frühen Bürgerrechtlerin Sojourner Truth, dem Pan-Afrikanisten W.E.B. Dubois, dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, auch dem Saxofonisten Joe Henderson oder der Candomblé-Hochburg Salvador da Bahia. Und natürlich bietet die Band afroamerikanischen Mainstream-Jazz bester Provenienz, so, wie ihn auch die Touristen in New Yorks Supper-Clubs hören wollen. Nicht umsonst erinnert die Instrumentierung mit drei Bläsern – Tenor, Trompete, Posaune – an die berühmteste Besetzung der Jazz Messengers, die sich ihrerseits als die Fahnenträger der modernen Tradition exponierten.

Wayne Escoffery (Tenorsaxofon), Jeremy Pelt (Trompete), James Burton III (Posaune), Xavier Davis (Piano) und ihre Kollegen könnten problemlos in deren Fußstapfen treten und scheinen an diesem besonderen Abend offenbar zu allem entschlossen. Sie stehen auf der Bühne, selbstbewusst, smart, aber nie arrogant. Keine aggressive Körpersprache, sondern ein gewinnendes Äußeres, mit dem sie die Herzen in Neuburg im Sturm erobern, auch wenn die Bläsersätze in einigen wenigen Aufblicken im kontrollierten Eifer des Gefechts aus der Balance geraten. Pelt, der sich im „Birdland“ mittlerweile auskennt, wie in seinem Wohnzimmer, hat nicht nur körperlich wieder an Volumen zugelegt. Noch nie zuvor gab er derart extrovertiert den High-Note-Blower, schoss permanent Spitze giftige Trompetenpfeile ins Gewölbe ab. Burton verkörpert nur auf den ersten Eindruck den ruhenden Pol. Mit dem passenden Thema konfrontiert – wie etwa in „Spin Doctor“ – kann er von einer Sekunde auf die andere explodieren. Escoffery agiert mal rhapsodierend, dann wie ein surrealer Maler an seiner Leinwand wütend. Außerdem spricht er besser Deutsch als 99,8 Prozent aller amerikanischen Birdland-Gäste, legt immer wieder die Finger in die Wunden, ob mit seinen Ansagen oder instrumental.

„Awating Change“, so erklärt er, sei Obama gewidmet, „jemandem, den wir gerade jetzt sehr vermissen.“ Die Veränderung, der Wandel in der Gesellschaft seien verschwunden. Nie zuvor wurden so viele Schwarze in den USA Opfer weißer Polizeigewalt. Daneben die alltäglichen Brennpunkte: das Wiedererstarken der Rechten, der omnipräsente Rassismus, weniger Jobs, weniger Geld, schlechtere Chancen. Es beginnt mit einer eingängigen Melodie, die jeder der Bläser in eine eigene Richtung weiterführt. Ein federnder Rhythmus sorgt für Bewegung, wobei Obamas Aufstieg durch schrille hohe Töne und sich aufschwingende Bögen nachgezeichnet wird. Sie stehen für das Versprechen, die Euphorie und die Begeisterung, die seine Präsidentschaft mit sich brachte. Die Gegenwart namens „Trump“ mündet in einem heillosen Chaos. Ein grandioses Statement!

Eine wichtige Rolle spielt dabei Pianist Xavier Davis, der sich scheinbar pausenlos auf einem Spießrutenlauf befindet, die Linke und die Rechte überkreuzt und in seinem Sprint über 88 Elfenbeintasten zahlreiche perlende Swing-Kracher versteckt. Bassist Corcoran Holt verkörpert das Gegenstück eines feinsinnigen Virtuosen. So wie er hunderte von süffigen Walkinglinien produziert, muss er als hart arbeitender Rhythmiker gelten, der nur eines im Sinn hat: Groove, um jeden Preis! Eigentlich hätte Drummer Mark Whitfield jr. dabei auch gut hineingepasst. Seine krachenden Fills erwiesen sich jedoch für die Dauer eines Konzertes als viel zu laut, zu störend. Ein Fremdkörper.

Der Unterschied wurde freilich allemal hör- und sichtbar. Das Black Art Jazz Collective besticht durch seine Spielhaltung und seine Motivation, Geschichten zu erzählen, die ganz nah an der Realität bleiben. Wie in der furiosen Zugabe „Armor Of Pride“ (Schutzpanzer des Stolzes). Das ist die Gegenwart, und sie ist nicht nur in den USA, sondern diesmal auch im Hofapothenkeller schwarz. Für dieses Kollektiv gab es deshalb reihenweise frenetischen Zwischenapplaus und am Schluss Ovationen.